Zur Zukunft der Stadt

Die Bürgerstiftung Urban Future Forum e. V. beschäftigt sich mit der Zukunft der europäischen Stadt. Prof. Dr. Wolfgang Böhm, Architekt und Sprecher des Vorstands der Stiftung Urban Future Forum e. V., stellt die stadtpolitischen Grundsätze für die Zukunft der europäischen Stadt vor.

Gesellschaft im Wandel
Weltweit lebt die Mehrheit der Bevölkerung heute in Städten. In ihnen verdichten sich globale Entwicklungen, wie z. B. die sich öffnende Schere zwischen Reich und Arm, wiederkehrende Krisen der Ökonomie und die zunehmende Belastung der Umwelt. Städte gelten aber auch nach wie vor als Orte der Prosperität, der Liberalität, Toleranz und kulturellen Vielfalt. Sie waren und sind Schauplätze politischer Emanzipation und „Labore“ gesellschaftlichen Wandels. „Die Bedeutung der Städte für die demokratischen Grundwerte, für die gesellschaftlichen Entwicklungen, für den wirtschaftlichen Fortschritt, für Bildung und Kultur ist weitaus größer als der politische Stellenwert, der ihnen zugebilligt wird“, so die damalige Präsidentin des Deutschen Städtetages und langjährige Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt, Petra Roth, bei der Jubiläumshauptversammlung „100 Jahre Deutscher Städtetag“ im Mai 2005.

Die Stadt und die Gesellschaft
Die „soziale Stadt“ als Modell für den Interessenausgleich der Stadtbevölkerung steckt tief in der Krise. Gleichzeitig steigt der Umfang der sozialen Integrationsaufgaben der Städte gegenüber den Verlierern der gesellschaftlichen und der ökonomischen Modernisierung von heute und den ethnischen Minderheiten von morgen. Wie wirken sich die
massiven Desintegrationsprozesse auf die Integration von Teilen der Mehrheitsbevölkerung und Minderheiten aus? Welche Konfliktpotentiale existieren, und mit welchen Konflikten müssen wir in der nahen Zukunft rechnen?

Altern in der Stadt
Altern in der Stadt führt zu zahlreichen Marktanpassungen auf den Immobilienmärkten, auf den Gütermärkten, auf den Dienstleistungsmärkten. Ein besonderes Gewicht haben die Anpassungsbedarfe beim Wohnen. Für ältere Menschen ist die Wohnung der Lebensmittelpunkt. Die großen Herausforderungen an das Wohnen und zukünftige Wohnformen sind: Altern und Singularisierung, Integriertes Wohnen, Mehrgenerationen-Wohnen, Wohngemeinschaften.
Altern ist verbunden mit Distanzempfindlichkeit und dem Bedürfnis der Nahräumlichkeit. Diese Kennzeichen des Alterns werten das Wohnen und dessen Nahbereiche als Ort des Lebenszusammenhangs auf. Die Wohnbedingungen Wohnung, Wohnumfeld, Plätze und Straßen, Wege und Parks müssen selbstbestimmtes Leben auch im Alter fördern und ein nachhaltiges gesellschaftliches Engagement der Alten ermöglichen.

Die Jungen in der Stadt
Die Jungen in der Stadt wollen die Verbindung von Familie und Beruf. Das ist nach wie vor ein zentrales Ziel der privaten Lebensgestaltung. Sie gehen davon aus, dass es ihnen gelingt, den Wunsch nach Selbstbezogenheit und Selbstverwirklichung mit den Wünschen nach Familie und Beruf in einem Lebensentwurf zu verbinden. Für die Mehrzahl der Jungen in der Stadt sind Beruf und Familie gleichgewichtige Werte. Bei der Realisierung dieses
Lebenskonzepts stehen die Jungen vor den verschlossenen Türen einer Gesellschaft, die weitgehend indifferent gegenüber Kindern und deren Bedürfnissen ist. Diese Haltung bewirkt eine Privilegierung des Lebens ohne Kinder. Eine integrierte Stadtentwicklungspolitik muss in der Stadt die entsprechenden Bedingungen schaffen, damit die Jungen in der Stadt motiviert werden, Risiken auf sich zu nehmen, die bei der Verbindung von Beruf
und Familie entstehen.

Die Stadt als Integrationsmaschine
Die Großstädte entstehen und wachsen durch Zuwanderung. Diese war schon seit eh und je ein konstitutiver Bestandteil von Stadtentwicklung. Der 2011 verstorbene Stadtsoziologe Hartmut Häußermann erkannte die Bedeutung der europäischen Stadt in ihrer jahrhundertealten Fähigkeit zum Ausgleich divergierender gesellschaftlicher Prozesse. Er nannte die europäische Stadt treffend eine robuste „Integrationsmaschine“. In ihr entscheidet sich die Zukunft unserer Gesellschaften. Auch in der Zukunft werden die Bevölkerungsanteile von Menschen mit ausländischer Herkunft vor allem in den Großstädten wachsen. Der Migrantenanteil in den großen Städten wie Frankfurt, München und Stuttgart erreicht derzeit den Spitzenwert von bis zu 30 % der Stadtbevölkerung. Die Zuwanderung aus europäischen Ländern geht zu Ende. Die wirtschaftlichen Unterschiede in der Westhälfte Europas sind nicht mehr groß genug, um die Menschen zum Verlassen der Heimat zu veranlassen. Dafür wächst der Zuwanderungsdruck aus den außereuropäischen Ländern. Diese Zuwanderer unterscheiden sich durch ihren anderen kulturellen Hintergrund fundamental von den europäischen Zuwanderern.

Die Stadt und die Politik
Das Vertrauen der Bürger in die Gestaltungskraft und den Gestaltungswillen der Politik ist dramatisch gesunken. Die relative geringe Wahlbeteiligung ist ein deutliches Zeichen für die Geringschätzung der Politik und gleichzeitig eine große Gefahr, insbesondere für die lokale Demokratie. Für die europäische Stadt ist die lokale, demokratisch verfasste Autonomie unverzichtbar. Vorausschauendes politisches Gestalten ist nur möglich, wenn man weiß, wohin die Entwicklung geht und man den fundamentalen gesellschaftlichen Wandel nicht verdrängt, sondern diesen sorgfältig und kompetent analysiert und aus dieser Analyse die Perspektiven für die Gestaltung der städtischen Zukunft gewinnt.

Text: Prof. Dr. Wolfgang Böhm, Gründungsmitglied und Vorstandssprecher der Stiftung Urban Future Forum e. V.

Artikel zuerst erschienen im Februar 2020 in „Haus und Grund“