Nachhaltigkeit und Denkmalschutz im Städtebau – Überlegungen eines Naturforschers“
Am 24. September 2023 fand in der beeindruckenden Rotunde des Barockschlosses Biebrich auf Einladung und in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege eine Matinee mit Vortrag und anschließender Diskussion statt, die spannende Einblicke in das komplexe Verhältnis von Denkmalpflege und Nachhaltigkeit bot. Dabei wurde das traditionelle Wissen der Denkmalpflege um reparaturfreundliche und langlebige Bautechniken und Materialien gewürdigt.
Nach einer Begrüßung durch den Gastgeber, den Präsidenten des Landesamts für Denkmalpflege, Prof. Dr. Markus Harzenetter führte unser Vorstandsmitglied, der Architekt und Stadtplaner Jens Jakob Happ, kurz in die Arbeit der Stiftung ein. Seit Ihrer Gründung im Jahr 2005 widmet sich das urban future forum e.V. der Frage, wie die Transformation der Europäischen Stadt als ein jahrhundertelang gewachsenes und äußerst erfolgreiches Modell städtischen Zusammenlebens, im Hinblick auf die großen Herausforderungen unserer Zeit gelingen kann. Die von der Stiftung 2022 initiierte fünfteilige Reihe „Für eine nachhaltige Architektur der Stadt“ lenkt aktuell den Blick auf den Einfluss anderer Wissensgebiete auf die Architektur und die Entwicklung der europäischen Stadt. Markus Harzenetter nahm dies erfreulicherweise zum Anlass, mit der Stiftung Kontakt aufzunehmen. In anschließenden Gesprächen wurde auch der Gedanke gemeinsamer Veranstaltungen geboren und hier erstmalig umgesetzt.
Entscheidende Impulse bei der Konzeption dieser Reihe, die am 05.10.2023 im Deutschen Architekturmuseum abgeschlossen wird, kamen vom renommierten Paläontologen und Naturforscher Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger. Mit seinem Vortrag zur Matinee „Nachhaltigkeit und Denkmalschutz im Städtebau – Überlegungen eines Naturforschers“ knüpfte Volker Mosbrugger daran. Sein Blick auf globale Zusammenhänge eröffnete eine in dieser Schärfe ungewohnte Sicht auf die Wechselwirkung von Bevölkerungswachstum, allgemeinem Wohlstand und Umweltzerstörung: „Der Menschheit ging es nie besser als heute, aber der Natur nie schlechter!“, so seine Warnung. Seit den letzten fünf Jahren fällt nach Jahrzehnten des steilen Anstiegs erstmals der Human Development Index kontinuierlich. Eine Entwicklungskurve, die etwa ab dem Jahr 2018 ihren Kipppunkt erreicht hat und die Ausdruck davon ist, dass der Verbrauch des irdischen Naturkapitals als Grundlage allen menschlichen Wirtschaftens mit dem Anbruch der Industrialisierung auf der einen Seite zwar einen historisch unerreichten Wohlstand nach sich zog, die auf der anderen Seite Folgen zeitigt, die sich gegenwärtig zu einem Bedrohungsszenario für die gesamte Menschheit verdichten. Die Lösung dieses Problems, so Mosbrugger, kann nur eine Systemlösung sein, die eine Balance zwischen Natur, Wirtschaft und Gesellschaft herstellt. Er verweist auf das das drei Säulen Modell der Nachhaltigkeit, dessen Ziel es ist, Strukturen, Prozesse, sozial-ökologische Systeme so zu gestalten, dass sie bezogen auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Umwelt zukunftsfähig sind, also (möglichst) kein gesellschaftliches, wirtschaftliches und Naturkapital zerstören („starke Nachhaltigkeit“).
Denkmalpflege im Speziellen hat immer die Aufgabe, Kulturdenkmäler zu erhalten und wird oft geradezu als Synonym für Nachhaltigkeit gesehen. Denn durch regelmäßige Pflege, behutsame Umbau- und Umnutzungskonzepte können Gebäude über lange Zeiträume erhalten werden. Sie ist deshalb Teil einer Strategie Nachhaltigen Bauens, und insbesondere im Bereich des städtebaulichen Denkmalschutzes von hoher Relevanz. Doch die Beziehung zwischen Denkmalschutz und Nachhaltigkeit ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Es reicht nicht aus, den Blick auf die ökologische Nachhaltigkeit zu verengen, neben der ökologischen Qualität muss die ökonomische und soziale Qualität gleichwertig betrachtet werden. Die ökologische Nachhaltigkeit wiederum muss dabei systemisch über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, von der Erstellung, über den Betrieb bis zur Entsorgung bewertet werden. Insgesamt gilt:
- Die Nachhaltigkeitsbewertung erfordert eine Lebenszyklusanalyse der Dimensionen „People, Profit, Planet“
- Die Nachhaltigkeitsbewertung erfordert eine gesellschaftlich-politische Bewertung des Ergebnisses
- Bei der ökonomischen Bewertung müssen die „externen Kosten“ (Umweltschäden, Zerstörung von Naturkapital) berücksichtigt werden
Gerade die Berücksichtigung der externen Kosten führt zu einer anderen Preisstruktur. Untersuchungen zeigen z.B., dass bei Berücksichtigung der externen Kosten Rindfleisch in Abhängigkeit von der Umweltschädlichkeit des Herstellungsprozesses um einen Faktor bis zu 6fach teurer wäre. Dass die externen Kosten von Produkten und Gebäuden noch immer nicht erfasst und vom Verursacher bezahlt werden, z.B. durch eine CO2 Abgabe, die in etwa den Extraktionskosten von CO2 aus der Atmosphäre entspricht, ist angesichts des ansonsten allgemein akzeptierten Verursacherprinzips nicht nachvollziehbar, da Anreize zum nachhaltigen Wirtschaften damit nicht ausreichend genutzt werden. Anreize, die ohne fundamentale Eingriffe in den Markt sofortige Wirkung zeigen könnten.
In der anschließenden Diskussion stellten sich, moderiert von Jens Jakob Happ, Markus Harzenetter und Volker Mosbrugger den Fragen der Zuhörerinnen und Zuhörer. Interessante Aspekte waren dabei das zunehmende Interesse an einer ESG-konformen Wirtschaftsweise, gerade im Immobiliensektor, die große Herausforderung, qualifizierte und engagierte geeignete Mitarbeiter für die besonderen Aufgaben in der Denkmalpflege zu finden und schließlich das erschreckende Desinteresse oder auch der Mangel an Finanzmitteln kommunaler Träger zum Erhalt historischer Bausubstanz. Dennoch wurde insgesamt ein verändertes Bewusstwerden wahrgenommen. Die Erkenntnis der Endlichkeit natürlicher Ressourcen und die Notwendigkeit zur Vermeidung von immer mehr Müll zwingen zum Umdenken und zur stärkeren Berücksichtigung des gebauten Bestands, ob Denkmal oder nicht.
In den Pausen der Veranstaltung genossen die Gäste die wunderbare Klaviermusik von Thilo Wagner, die die Atmosphäre der Rotunde zusätzlich bereicherte. Ausklang bei Wein in der barocken Wandelhalle mit Blick auf den Rhein bei strahlendem spätsommerlichen Licht.
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